Freitag, 23.2. – Tag 9 – Daniel

FORUM

58.

INFLATABLE SEX DOLL OF THE WASTELAND

(Japan, R.: Atsushi Yamatoya)

Der Auftragskiller Sho wird mit der Suche nach der einer entführten Frau beauftragt und trifft im Laufe dieses visuell beeindruckenden Filmes auf einen alten Feind. Ein fragmentierter surrealer pinku eiga, der von der Flexibilität des Genres zeigt. Die japanische Nouvelle Vague par excellance. Der Held Sho schläft allerdings im entscheidenden Moment ein. Der furiose Showdown, in dem er alle seine Gegner besiegt, ist nur ein Traum, das Erwachen aus diesem ist umso fataler. Eddie Constantine wäre das nicht passiert.

59.

YOURS IN SISTERHOOD

(USA, R.: Irene Lusztig)

Frauen unterschiedlicher Hintergründe und Herkunft lesen und kommentieren Briefe, die in den Siebziger Jahren an das liberal-feministische Magazin „Ms.“ gingen. Ein reicher Fundus in vielschichtiger Beziehung mit der Gegenwart und deren Kontinuitäten. Besonders eindrucksvoll waren die Briefe, die von den selben Frauen vorgelesen wurden, welche die Briefe damals geschrieben hatten. Diskriminierung im Beruf, Widerstand gegen allzu dogmatisches Schwarz-Weiß-Denken im Feminismus, die Probleme junger Lesben beim Coming Out. Vieles hat sich verbessert, manches ist noch genauso schlimm wie früher, wie zum Beispiel die Zustände in einem Frauengefängnis.

Nachtrag: Der Film erhielt eine Nominierung als bester Dokumentarfilm für den TEDDY-Award.

PANORAMA

60.

HOJOOM

(Iran, R.: Shahram Mokri)

Ein spannender und rätselhafter Science-Fiction-Film. In einer Art Stadion-Anlage rekonstruiert die Polizei zusammen mit einer Sport-Mannschaft den Mord an einem ihrer Spieler. Eigenartige Verfremdungseffekte treten ein: Das Berlinale-Programmheft spricht von einer „Zeitschleife„. Wenn man es genau nimmt, handelt es sich keineswegs um eine Zeitschleife, denn es wiederholt sich nichts. Wir folgen der Hauptfigur Ali – wie es scheint, in einer einzigen, einhundert Minuten langen Einstellung – durch ein seltsames Labyrinth in einer futuristischen Düsterwelt, die erfüllt ist von einem eigentümlichen grünen Nebel (mit dem Guy Maddin aber nichts zu tun hat, vermutlich), und erleben Variationen von Situationen und Handlungselementen, die vorangegangenen ähneln, diesen aber nicht entsprechen. Zum Beispiel schlüpfen in den ineinander spielenden Variationen mehrmals eine Reihe anderer der Spieler in die Rolle von Ali, um jene Sätze und Taten zu wiederholen, die er als erster gesagt, erlebt und getan hat. So ist der Hauptprotagonist quasi die Speerspitze des Narrativs. Gleichzeitig handelt es sich um einen einzigen eigenen Handlungsstrang, in dem ständig etwas Neues passiert. Das, was sich wiederholt, liegt schon lange hinter Ali und hat nur noch bedingt mit ihm zu tun. Die Zwillingsschwester des Ermordeten wird zu einer weiteren Schlüsselfigur mit immer neuen Bedeutungsfacetten. „Potentiality of Love“ lautet ein Song in einem Walkman, der eine Rolle spielen soll, doch dann wird daraus die Botschaft aus der Parallelwelt, zu der alle hingelangen wollen.

In diesem Sinne ist HOJOOM auch eine Allegorie auf die gegenwärtige Situation homosexueller Menschen im Iran. Dort steht Homosexualität unter Todesstrafe. Einen Film über Homosexualität oder schwule Charaktere konnte Shahram Mokri also nur drehen, indem er ihn in einer surrealen Zukunftswelt spielen ließ und das Thema nicht explizit (in Worten) anspricht. Die Körpersprache der Spieler jedoch in ihrem Umgang miteinander (und deren gemeinsames Spiral-Tattoo, das in einem Herzen endet) sowie die Statements von Ali, er habe den Ermordeten geliebt wie keinen anderen Menschen, sprechen eine andere Sprache.

Ein Film, den ich mir immer wieder gerne ansehen würde, nicht zuletzt um hoffentlich irgendwann einmal alles verstanden zu haben. Und bereits der zweite Beitrag aus dem Iran, der die Qualität der Berliner Filmfestspiele gerettet hat.