Samstag, 24.2. – Tag 10 – Daniel

PERSPEKTIVE DEUTSCHES KINO

61.

FILMWANDERUNGEN

Diese Reihe von 31 Kurzfilmen ist ein Projekt, bei dem junge Filmemacher_innen 140 Anwohner rund um den Rosa-Luxemburg-Platz interviewten. Beim Betrachten treten wir eine Wanderung an durch Wohnungen, Räume und Lebenswelten wie auch durch Geschichte und Gegenwart.

In Gesprächen mit Menschen, die hier schon sehr lange oder erst seit kurzem leben, werden die Grenzen zwischen den Generationen und den Lebensstilen sichtbar, das Spektrum reicht von der Erinnerung an das Leben in der DDR bis zur Modedesignerin aus den USA im (gentrifizierten) Berliner Exil – doch die Kluft zwischen ihnen könnte vielleicht auch überbrückt werden durch die Kontrastierung der Gegensätze gerade in diesen Kurzfilmen.

Ein kleiner Kiez kann dabei über seinen eigenen Tellerrand sehen und seine Vielfalt entdecken.

Am 24.2. und am 25.2. wurde eine Schar von 70 Zuschauern aus dem Publikum (die sich vorher dafür hatten bewerben können), rund um den Rosa-Luxemburg-Platz geführt, wo sie die interviewten Anwohner besuchen konnten, um mit ihnen deren Filme zusammen anzusehen. Die Grenze zwischen Wirklichkeit und Film löste sich auf.

PANORAMA

62.

RIVER‘S EDGE

(Japan, R.: Isao Yukisada – und damit schon zum vierten Mal zu Gast beim PANORAMA)

Tokio 1994. In einem Videointerview redet Haruna Wakakusa, eine junge Frau, über die Bedeutung eines Teddybären. Kurz darauf stürzt in der Nacht ein brennendes Objekt aus einem Hochhaus. Ein gefesselter, nackter junger Mann fällt aus einem Spind. Zwei Fischer reden über einen Wassergeist. In Isao Yukisadas außergewöhnlichem Drama RIVER’S EDGE werden viele Fährten gelegt und die Wechsel zwischen den Erzählsträngen sind so sprunghaft und unberechenbar wie die Figuren: Ichiro Yamada ist schwul und Opfer der Gewalt seiner Mitschüler, zieht aber Stärke aus seinen Blessuren. Dass er auch eine Freundin hat, stört ihn allerdings nicht – noch nicht zumindest. An einem nahe gelegenen industrieverseuchten Fluss macht er einen grausigen Fund und zeigt ihn seiner besten Freundin Haruna. Deren Freund Kannonzaki indes liebt brutalen Sex und überschreitet dabei immer weitere Grenzen, allerdings nicht mit Haruna, sondern mit ihrer Freundin Rumi, die er schwängert. Rumis Schwester wiederum, ein in sich zurückgezogenes Mädchen mit Down-Syndrom, liest obsessiv in den Rumis Tagebüchern. Das bulimische Model Kozue vergräbt sich nachts in Bergen aus Essen und flirtet mit Haruna, doch diese wirkt fern ihrer selbst, fern des Lebens. Alle diese und andere Geschichten werden virtuos zum atemlosen Sittengemälde einer getriebenen, scheinbar verlorenen Jugend montiert, wobei die Begegnungen mit Gewalt unabdingbar scheinen. Die Auflösung um das brennende Objekt erlöst zumindest diejenigen, die im Jahr 2018 nicht länger den schwulen Charakter am Schluss sterben sehen wollen.
Im zweiten Video-Interview mit Wakakusa blickt diese betroffen auf ihr bislang teilnahmsloses Dasein einer rein passiven Existenz zurück und beschließt, dass sie leben und weinen und über das Verletztwerden hinwegkommen wird, um schließlich weiter ihren Weg zu gehen. Mit dieser schönen Klammer hätte der Film gut enden können, doch wir blicken noch mit Ichiro Yamada auf den Fluss und die Fabrikanlagen am Ufer in der Morgendämmerung. So ist eben der Unterschied zwischen unseren Zielen und der Realität.

Nachtrag: RIVER’S EDGE gewann den FIPRESCI-Preis für die Sektion PANORAMA.

Und das war mein letzter Film auf der diesjährigen Berlinale. Die Spätvorstellung von SANTO VS. EVIL BRAIN gönne ich mir nicht mehr, da ich schon längst wie erschlagen und nicht mehr aufnahmewillig bin. Statt dessen kuriere ich zu Hause meinen sich ankündigenden Hexenschuss aus, vielleicht mit einem der vielen Filme mit Willem Dafoe in der Reihe HOMMAGE, die ich leider nicht sehen konnte, z.B. THE LAST TEMPTATION OF CHRIST, DER ANTICHRIST oder DIE TIEFSEETAUCHER.

moi im Delphi

Der Delphi Filmpalast ist eines der schönsten Lichtspielhäuser Berlins.

PS: Eventuell wundert sich jemand von euch darüber, wie ich es schaffen konnte, so viele Filme innerhalb von zehn Tagen anzusehen, aber ich schrieb natürlich auch über die Filme, die ich bereits vorab in den Pressevorführungen im Januar gesehen habe. Selbstverständlich habe ich hierbei das Embargo berücksichtigt, dass man bis nach der Premiere warten musste mit der Veröffentlichung der Filmkritik.

Und zum Abschluss hier noch ein Link zu meiner Homepage:
Aktuelle Radio-Interviews und Filmberichte von der Berlinale 2018