Samstag, 17.2. – Tag 3 – Daniel

RETROSPEKTIVE

13.

DER KATZENSTEG

Eine weitere Literaturverfilmung aus der Weimarer Republik, diesmal von Regisseur Gerhard Lamprecht inszeniert. Genau wie der Roman von Hermann Sudermann aus dem Jahre 1890 zeichnet auch der Film das Bild einer zerrütteten Nachkriegsgesellschaft nach den Napoleonkriegen im Jahre 1813.

Eine preußische Dorfgemeinschaft stellt sich gegen den heimkehrenden Kriegsheld Boneslav, da dessen Vater – als Freund der Franzosen – den französischen Feind in den Rücken eines preußischen Freikorps geführt hatte. Wie Boneslav sich gegen seine Feinde im Dorf behaupten muss, hat schon fast die Züge eines klassischen Westerns a la „Zwölf Uhr Mittags“.

Am Schluss beeindruckt jedoch ein völlig unheroisches Ende, es kommt zu keinem Showdown. Der Soldat muss wieder in die Schlacht, als Napoleon aus seiner Verbannung zurückkehrt. Die höchst nüchterne unsentimentale Texteinblendung am Schluss deutet auf sein vermutliches weiteres Schicksal lediglich hin.

BERLINALE SHORTS

14.

Programm II: U=2·p·r oder Blitze aus dem All

IMPERIAL VALLEY (Cultivated Run-Off)

(D./Österreich, R.: Lukas Marxt)

Ein Drohnenflug über einen künstlichen Wasserlauf im Imperial Valley, einem der größten Obst- und Gemüseanbaugebiete in den USA.

In diesem Jahr fällt übrigens bei vielen der Kurzfilme auf, wie sich der Kameraflug mit Drohne zu einem gängigen Stilmittel des ästhetischen Blicks entwickelt hat.

Der Blick gleitet über einen Kanal in der Wüste, Kläranlagen, einen Kunstsee, Plantagen und über scheinbar endloses Agrarland. Schließlich endet der Flug – im Nichts.

BABYLON

(Philippinen, R.: Keith Deligero)

Einer der schrägsten Beiträge der Berlinale Shorts.

Als ein Freund von mir vor einiger Zeit auf den Philippinen zu Besuch war, erschreckte ihn die Besessenheit der Einwohner mit Schusswaffen. Betrachtet man diesen Film, lässt sich die Obsession gut nachvollziehen. Es wird wirklich viel herumgeballert in Barangay Babylonia!

Dawn und Saab reisen durch die Zeit, um einen Bürgermeister zu ermorden, der später einmal zum Diktator wird, die Geschichte soll umgeschrieben werden.

TERRE MOTO SANTO

(Brasilien, R.: Bárbara Wagner & Benjamin de Burca)

Ein Mann und eine Frau in der unberührten paradiesischen Natur, er im Anzug, sie im schwarzen Kleid. Mit einem Mal fangen sie an zu singen. In der nächsten Sequenz dann: eine Männergruppe in der Gesangsstunde. Weitere ländliche Szenarien mit dem Gesangbuch folgen.

God wrote your story with his own hands, victory is guaranteed„. Das Duo Wagner / de Burca inszeniert den Pop der Evangelikalen in einer großen Schlagershow in Brasilien. Die Predigt der Nacht ist eine andere als die des Tages.

CIRCLE

(Großbritannien/Indien/Kanada, R.: Jayisha Patel)

Ein indisches Dorf. Eine Frau erzählt ihrer Schwester von ihrer Vergewaltigung. Zitat: „Großmutter organisierte meine Vergewaltigung.“ Die Jahreszeiten vergehen schnell.

In einem Kreislauf folgt Jayisha Patel drei Generationen an Frauen aus Indien in ihrem Lebensumfeld und deckt den Kreislauf der Gewalt auf.

Die Hochzeit findet im April statt.

SOLAR WALK

(Dänemark, R.: Réka Bucsi)

Der zweite Trickfilm der Berlinale-Shorts ist eine Ekstase der kosmischen Mythologien. Ein ganzes Universum füllt sich mit Visionen, wenn Réka Bucsi in Solar Walk die Himmel animiert.

Nachtrag: SOLAR WALK gewann den „Audi Shortfilm Award“.

PANORAMA

15.

YOCHO (FOREBODING)

(Japan, 140 Min., R.: Kiyoshi Kurosawa, D: Kaho, Shota Sometani, Masahiro Higashide, Ren Osugi)

Der Himmel über der Stadt hat sich verändert. Ein trübes gleichmäßiges aber auch substanzloses Grau schwebt über der Stadt. Als sich im Leben von Etsuko die unerklärlichen Vorfälle häufen, wird ihr sehr bald klar, dass eine höhere Macht das Ende der Welt einläuten will. Kiyoshi Kurosawa verbindet in seinem Film Elemente von Science Fiction, Horrorfilm, Thriller und Endzeitdrama.

Immer mehr Menschen in der Stadt fehlen plötzlich lebenswichtige Konzepte in ihrem Vorstellungsvermögen. Konzepte wie „Familie„, „Würde„, „Zeit“ oder „Angst„. Allmählich wird Etsuko klar, dass Fremde auf dem Planeten sind, die diese Konzepte aus dem Bewusstsein entreißen.

Der Film FOREBODING (zu deutsch „Vorahnung“) beeindruckt aber vor allem dadurch, dass er komplett auf Spezialeffekte verzichtet. Mit Ausnahme ein paar unauffälliger optischer Effekte entsteht der Eindruck des Fremdartigen und Unerklärlichen lediglich durch die Dialoge bzw. das ungewöhnliche Spiel einzelner Körperteile oder des ganzen Körpers.

Die Schauspieler vermitteln gekonnt den Einfluss des Unbekannten auf die Menschheit. Mit 140 Minuten ist der Film nur leider ein wenig zu lang, insbesondere da manche Handlungselemente zu oft wiederholt werden. Außerdem mag ich keine Szenen, in denen Menschen, und seien es nebensächlichste Randfiguren – lebendig begraben werden. Dennoch ist YOCHO ein Highlight in der Sektion PANORAMA.

PANORAMA SPECIAL

16.

INKAN, GONGKAN, SIKAN GRIGO, INKAN (Human, Space, Time, Human)

(Südkorea/Japan, R.: Kim Ki-Duk)

Der Parabelcharakter der Geschichte wird von Anfang an klar. Eine Gemeinschaft von Menschen aus verschiedenen Schichten der Gesellschaft, die nicht als Charaktere in Erscheinung treten, sondern lediglich als Symbolfiguren und Metaphern.

Die allegorische Reisegesellschaft macht sich auf den Weg an ein unbekanntes Ziel auf einem uralten Kriegsschiff, als wäre es ein Luxusliner. Als plötzlich das Meer unter dem Schiff fehlt, zerbrechen die Hierarchien zwischen Passagieren der ersten Klasse, den Unterschichten und auch der Schiffsmannschaft. Auf dem Schiff in den Wolken bricht das Chaos aus, wer die Schusswaffe hat, bestimmt über Leben und Tod. Als die Vorräte aufgebraucht sind, essen sich die Menschen gegenseitig auf.

Kulinarisches Kino der Sonderklasse, denn – so heißt es ja zumindest – Menschenfleisch schmeckt gar nicht schlecht. Ich hätte es allerdings nicht roh verzehrt sondern die durchaus noch funktionierende Bordküche verwendet.

Doch – wie Michael Jackson es einst so schön sagte: „It’s only a movie.“ Vergessen wir bei all den unappetitlichen Szenen, dem lärmenden Geschrei und exzessiven Vergewaltigungsorgien nicht, dass es sich um die grausame Parabel auf die Natur des Menschen handelt. Jede Figur, jeder Gegenstand (wie zum Beispiel der Revolver), symbolisiert nur etwas anderes, und es sind nur die Symbole und die Metaphern, die sich hier kannibalisieren und vergewaltigen.

Insgesamt der unerfreulichste Beitrag in diesem Jahr, denn – man kann es für ein bedeutsames Statement halten. Vielleicht sollten wir aber nicht alles in der letzten Konsequenz auf die Triebe zurückführen.

FORUM

17.

WALDHEIMS WALZER

(Ö., R.: Ruth Beckermann)

Vor über dreißig Jahren trat der ehemalige UN-Generalsekretär Kurt Waldheim zur Wahl zum österreichischen Bundespräsidenten an. Just zu jenem Zeitpunkt wurde die von ihm verleugnete Vergangenheit als NS-Soldat bekannt, der an Greueltaten der Nazis beteiligt war.

Der dokumentarische Essay von Ruth Beckermann, die selber damals in antifaschistischen Aktionskomitees engagiert war, rekonstruiert aus eigenen Filmaufnahmen und auch aus Fernseh-Archivmaterial den Verlauf der hitzigen politischen Debatten und Anschuldigungen.

Die Maske des Humanismus, mit der sich Waldheim seit dem Krieg stets getarnt hatte – auch vor sich selbst – gerät ins Bröckeln. Auf die Anschuldigungen geht er nur soweit ein, dass er sie als eine „ganz normale Erfüllung seiner Pflicht als Soldat“ hinzustellen versucht.

Die Strategie des Jüdischen Weltkongresses, den Wahlkampf von Kurt Waldheim zu torpedieren, geht leider nicht auf, und das ist der eigentliche Skandal, der vor allem erst jetzt durch die Dokumentation klar wird. Dieser Skandal ist das hanebüchene Verhalten der ÖVP, die die Anschuldigungen gegen Waldheim nutzt, um wiederum ihrerseits mittels unverhohlenem Antisemitismus auf Stimmenfang im Wahlkampf zu gehen.

Zusätzlich zeigen die eigenen Dokumentaraufnahmen der Filmemacherin aus den Begegnungen ein trauriges Bild der österreichischen Gesellschaft der Achtziger Jahre. Der Schritt nach rechts war immer der einfachere, der naheliegendere. Was in Österreich leider immer gefehlt hat, ist eine Aufarbeitung der eigenen Schuld an Greueltaten während der Zeit des Nationalsozialismus.

Diese fehlende Aufarbeitung führte letztlich auch heutzutage wieder zum enormen Rechtsruck in Österreich. WALDHEIMS WALZER ist nur ein Tropfen auf dem heißen Stein.

Nachtrag: Der Film hat den „Glashütte Original“ – Dokumentarfilmpreis gewonnen.

BERLINALE CLASSICS

18.

TOKIO IN DER DÄMMERUNG

(Japan 1957, R.: Yasujiro Ozu)

Bereits vor einigen Jahren lief im Forum eine Mitternachtsreihe mit Werken von Yasujiro Ozu, dem Meister des japanischen Neorealismus. Auch von ihm wird nun ein digital restaurierter Film auf der Berlinale erstaufgeführt, und zwar das Familiendrama „TOKIO IN DER DÄMMERUNG“ aus dem Jahre 1957.

Über den Straßen des kalten Tokios Ende der 50’er Jahre liegt der Smog, die Menschen sind mit Atemschutzmasken unterwegs. Wie eine unheilvolle Vorankündigung späterer Tragik senkt sich die Schranke herab für einen durchfahrenden Zug.

In den kleinen Lokalen wird getrunken und gespielt, in den Fabriken gearbeitet. Dazwischen spielt sich eine unscheinbare Suche zweier erwachsener Schwestern nach ihrer Mutter ab, die sie vor langer Zeit verlassen hatte, und der alleinerziehende Vater, ein erfolgreicher Geschäftsmann, erkennt, dass er bei aller Liebe seinen beiden Töchtern kein glückliches Zuhause bieten konnte.

Die eine der beiden Töchter zerbricht an der Kälte, die andere gewinnt innere Stärke und Kraft. Die Nachkriegszeit wird lebendig, und die Schattenseiten des Lebens in der Moderne treten in den Vordergrund.

Das alles wird völlig unsentimental erzählt und geht gerade daher umso mehr zu Herzen.

FORUM

19.

MADELINE’S MADELINE

(USA, R.: Josephine Decker, R: Helena Howard, Miranda July, Molly Parkes)

Madeline ist eine junge Frau, die an einem Theaterworkshop teilnimmt. Hier wird improvisiert und erprobt, ein Stück soll sich aus dem gemeinsamen kreativen Prozess entwickeln. Doch Madeline kämpft auch mit schweren psychischen Störungen, die Madeline auf der Bühne nicht nur auslebt, sondern die auch eine extrem wilde Unkontrollierbarkeit entwickeln können.

In diesem faszinierenden Spiel von Kreativität und Besinnungslosigkeit, man könnte auch sagen, dem Ineinanderspielen von Kultur und Anima, entfaltet der Film seinen unwiderstehlichen Reiz. Doch auch die gesamte Theatergruppe wird in den magisch-animalischen Bann von Madelines zweiter Persönlichkeit gezogen. Evangeline, die Leiterin des Theaterworkshops, wird ausgesperrt und hat keine Kontrolle mehr über die wilde Performance, die sich zu einem nicht vorhersehbaren Ende steigert.

Ein starkes Statement über das Verhältnis von Kultur und Wahnsinn, mit Helena Howard, einer beeindruckenden Darstellerin der Titelfigur.

RETROSPEKTIVE

20.

IHRE MAJESTÄT, DIE LIEBE

(D., R.: Joe May)

Ein charmanter Playboy soll seine Verlobung mit einem Barmädchen lösen und durch eine Geldheirat dem Familienbetrieb finanziell voranhelfen. Eine turbulente Tonfilm-Operette voller Aberwitz und Unfug bis hin zu einem rasanten Showdown.

Auch heute kann man über viele Dinge herzlich lachen, besonders wenn ein Blumenstrauß gleich mehrmals aus dem Fenster geworfen wird, aber durch obskure Umstände immer wieder zu der Angebeteten zurückkehrt.

Auch die Nichte des Playboys und ihr Tanzlehrer fungieren als zweites Liebespaar als Comic „Relief“ – sogar mit umwerfenden Tanzszenen obskurer Natur.

PERSPEKTIVE DEUTSCHES KINO

21.

FEIERABENDBIER

(D., R.: Ben Brummer)

Der Barkeeper Magnus hat eine große Leidenschaft: seinen Mercedes SEC. Mit seinem Freund Dimi, der Philosophie studiert, um dadurch besser Mädchen abschleppen zu können, diskutiert Magnus die Unterschiede zwischen „Sucht“ und „Leidenschaft“. So ist man ja zum Beispiel nicht „süchtig“ nach Klavierspielen, oder man hat keine „Passion“ fürs Alkoholtrinken.

Doch dann wird das geliebte Auto geklaut, und Magnus macht sich wie besessen auf die Jagd nach dem Autodieb, auch wenn sich jetzt mal wieder Gelegenheit ergibt für andere Dinge im Leben – wie zum Beispiel Frauen… Die erste Zufallsbegegnung mit dem vermeintlichen Täter findet in einem Swingerklub statt (Einblendung Filmausschnitt).

In der Zwischenzeit muss er sich also noch mit einer neuen Freundin, seiner Ex-Freundin, ihrem gemeinsamen Sohn und auch den wenigen Gästen seiner Kneipe widmen, die alle ihre eigenen Probleme haben. Trotz aller Aufregung ist die Kneipe wie ihre eigene Welt, ein Ruhepunkt, in dem die Außenwelt ausgeblendet werden kann.

In einer Nebenrolle glänzt hier ganz besonders Christian Tramitz als einer der Stammgäste der Kneipe – einem höchst unorthodoxen Esoteriker mit entsetzlichem Modegeschmack.

Auch die Frauenfiguren entsprechen keinerlei gängigen Klischees und haben was zu sagen. Wenn die Philosophiestudentin Tini mit Substanz Paroli bietet, so was gefällt. Der Hauptdarsteller Tilman Strauß erinnert von der Art und seinem Aussehen her ein wenig an Ethan Hawke. Es könnte sein, dass mir die leichte Komödie mit dem originellen Schluss auch deshalb gefällt.

Auf die Frage, wie sich Strauß auf die Rolle des Magnus Maier vorbereitet habe, hat er übrigens lakonisch geantwortet: „Ich habe den Text gelernt. Das zahlt sich meistens aus.“

Auch „FEIERABENDBIER“ kommt am 15. März in die Kinos.

 

FORUM EXPANDED

22.

Programm V:

WE LIVE IN SILENCE – Chapters 1-7

(Simbabwe, R.: Kudzanai Chiurai)

Wie reglose Wandgemälde erscheinen die üppigen sieben Tableaux Vivants zunächst, die die Geschichte des Kolonialismus und der Versklavung der afrikanischen Migrantinnen noch einmal beleuchten: Prachtvolle Farben, eindrucksvolle Posen der weißen Versklaver und der unterdrückten afrikanischen Migranten und Migrantinnen.

Wie sich die Kamera und der Blick langsam zurückziehen, verändert sich auch allmählich die bislang erstarrte Szenerie, und Erstaunliches oder Entsetzliches geschieht. Die Zeitlupe erschien wir eine Meditation, die Veränderung wirkt nun umso traumatischer.

Geschichte wird nicht aufgearbeitet, sondern eine zweite, eine andere Geschichte wird entworfen aus dem Blickwinkel der afrikanischen Kultur.

Im kritischen Blickwinkel des Regisseur ist die Unterschiedlichkeit der Sprachen, und die neu entworfene Geschichte seiner Figuren tritt vor allem den Vorurteilen der weißen Kolonialisten entgegen, die afrikanischen Migrantinnen müssten ebenso denken und sprechen und Sprache verstehen wie sie selber.

Eine Pietaskulptur oder da Vincis Abendmahl werden mit neuen Akteuren besetzt, nämlich schwarzen Frauen, dies ist hart an der Grenze zum Kitsch, bleibt aber im Rahmen des politischen Kunstwerks vertretbar.

CELLULOID CORRIDORS (SERMON)

[D., R.: Dalia Neis, Mohamed A. Gawad und Andreas Reihse (Chef der Formation Kreidler)]

Ein Film ohne Bild, stattdessen kreischende Klänge, gesprochene Proklamationen, synthetische Klangflächen. Neben dem Ambient-Dark-Sound sind amerikanische Frauenstimmen vernehmen mit einem kulturwissenschaftlichen Name Dropping von Spinoza über Maya Deren bis hin zu Charles Bronson.

Das Ergebnis ist ein Audio-Essay, ein Manifest des Films und eine umfassende Untersuchung der Filmgeschichte in glücklicherweise nur elf Minuten…

CONTRA-INTERNET: JUBILEE 2033

(USA, GB, R.: Zach Blas, D: Susanne Sachsse)

Im Jahre 1955 unternimmt die amerikanische Philosophin Ayn Rand (dargestellt von Susanne Sachsse) einen LSD-Trip, der sie in das dystopische Silicon Valley der Zukunft des Jahres 2033 versetzt. Hier erleben Rand und ihre Manga-Begleiterin, die künstliche Intelligenz Azuma, das Ende des Internets. Die Firmenkomplexe von Google, Facebook und Google stehen lichterloh in Flammen.

Zu den Klängen von Andrea Bocellis „Con Te Partiro“ öffnet sich am Strand der neue Horizont.

Zach Blas’ fortlaufendes Projekt Contra-Internet setzt sich mit der wachsenden Hegemonie des Internets auseinander. Während es in den 1990er Jahren noch als neutrales Netzwerk wahrgenommen wurde, hat sich das Web inzwischen zum wichtigsten Instrument eines beschleunigten Kapitalismus, der Überwachung und Kontrolle entwickelt: eine Infrastruktur, zu der man sich nur noch schwer eine Alternative oder ein „Außen“ vorstellen kann. Contra-Internet nutzt im Gegenzug feministische und queere Ansätze zu Technologie und Science-Fiction, um Spekulationen über Widerstandsformen gegen das Internet der Gegenwart und nahen Zukunft anzustellen.

Der Film CONTRA-INTERNET: JUBILEE 2033 ist inspiriert durch Derek Jarmans Queer-Punk-Streifen JUBILEE. In diesen neuen Kontext passt auch Susanne Sachsse sehr gut, die mit ihrem eigenen hyperkünstlichen Stil bereits eine Reihe von Filmen in den letzten Jahren bereichert hat – so zum Beispiel mit THE MISANDRISTS im Panorama 2017.

FORUM EXPANDED

23.

Programm II:

THE RARE EVENT

(GB, R.: Ben Rivers, Ben Russell)

Schlafbücher müsste es geben: von zähflüssigstem Stil, mit schwer zu kauenden Worten, fingerlangen, die sich am Ende in unverständliche Silbenkriegel aufdrieseln; Konsonantenarreteien (oder höchstens mal ein dunkler Vokal auf ‚u‘): Bücher gegen Gedanken.“

So hat es Arno Schmidt einmal gesagt.

Zumindest einen Schlaffilm gibt es nun: THE RARE EVENT.

THE RARE EVENT wurde während der dreitägigen Eröffnungsveranstaltung eines „Ideen-Forums“ gedreht, in dessen Fokus die vielgestaltigen Möglichkeiten von Widerstand („Resistance“ – so der Titel von Jean-François Lyotards unvollendetem Nachfolgewerk zu seinem 1983 veröffentlichen Buch „Les Immateriaux“) standen. Auf den ersten Blick wirkt der in einem Pariser Aufnahmestudio mit knarzendem Holzfußboden gedrehte Film wie die strukturalistische Dokumentation einer philosophischen Diskussion im Stuhlkreis. Doch selbstverständlich trügt diese „Erscheinungsdimension“ und so wird, mithilfe eines immersiven Soundmix, eines grünen Mannes, eines endlosen Nichts in Grüner-Mann-Form, einer Dosis kinetisch-digitaler Magie (mit freundlicher Unterstützung des US-amerikanischen Künstlers Peter Burr) und eines beeindruckenden Ensembles von Denker*innen, Kritiker*innen, Kurator*innen und Künstler*innen das Dokument der „Resistance“ langsam in ein seltenes Ereignis, ein „Rare Event“, transformiert – in ein Portal, das alle Dimensionen in eins fallen lässt.

Etienne Balibar raisonniert über die Affinität zwischen Magie und Kausalität, Manthia Diawara wünscht sich und uns eine Rückkehr der Poesie in die Philosophie. Und dazu wird die Erkenntnis geliefert: Kontinuität ist auch Diskontinuität.

Im virtuellen Raum verschmelzen die substantiellen Manifeste zum kakophonischen Pandämonium. Die Philosophen Frankreichs interagieren über die Mittelsfigur des „Grünen Mannes“ (der somit auch gleichzeitig als GREEN SCREEN fungiert) mit den spartantischen schwarzweißen Mustern und Formen einer TRON’schen Computerwelt, die die absolute Offenheit für moderne inhaltliche Komplexität darstellt.

Doch wenn man am Anfang des Films beinahe einschläft und die Informationen lediglich halb-dösend direkt in seinem Unbewussten abspeichert, hat man ebensowenig was falsch gemacht.