Freitag, 16.2. – Tag 2 – Daniel

Bevor ich mir die ersten Filme des Tages ansah, besuchte ich die Ausstellung „A Mechanism Capable of Changing Itself“ im Rahmen der Sektion FORUM EXPANDED, die in der Akademie der Künste zu sehen ist.

Der Ausstellungstitel geht auf eine Randnotiz von Maya Deren zurück. Diese schrieb 1947: „Marxismus – die einzige politische Theorie, die einen Mechanismus entwickelt, der sich selbst verändern kann.“ Maya Deren, Pionierin des Avantgarde-Films, übertrug die Idee auf das Kino, um neue Formen der Wahrnehmung zu erzeugen. So wurde das Kino durch Fragen, Aufzeigen oder Analyse politisch und konnte Veränderungen im Weltgeschehen herbeiführen, gerade mit der dokumentarischen Form – auf welcher daher auch in diesem Jahr wieder ein besonderer Schwerpunkt liegt bei FORUM EXPANDED.

Das Qualitätsspektrum der dreizehn Installationen variiert allerdings von äußerst belanglos bis hin zu besonders eindrucksvoll. Letzteres trifft z.B. auf „The Third Part of the Third Measure“ von der Otolith Group zu, einer 2-Kanal-Videoinstallation in einem hermetisch abgeschirmten Vorführraum innerhalb der Veranstaltungsräume (was daher wie eine Black Box wirkt), welche sich mit der Diskrepanz zwischen Authentizität und politisch korrektem Sprachgebrauch befasst.

Danach geht es um 17.00 Uhr endlich richtig los mit der ersten Kino-Vorstellung des Tages.

FORUM DES JUNGEN FILMS:

1.

GEORGES MÉLIÈS – ‚SOLITUDES‘ CINE-CONCERT

Heute wurde die Sektion FORUM offiziell eröffnet. Im Delphi Filmpalast wurden sieben Kurzfilme von Georges Méliès gezeigt – mit exotisch-elektronischer Live-Musik von fünf Musikern aus Beirut: Sharif Sehnaoui (Gitarre), Khyam Allami (Oud), Magda Mayas (Flügel), Tony Elieh (Bass) und Abed Kobeissy (Buzuk). So war das Kino gleichzeitig uralt und blutjung auf einmal.

Phantasievolle Kulissen und Kostüme, ein Lebendigkeit und Komplexität suggerierendes Statisten-Ensemble, faszinierende Spezial-Effekte mittels Ineinanderblendung von Szenen oder raffiniertem Filmschnitt. Méliès zog bei jedem seiner Filme alle Register seines Könnens und war kinematologisch State of the Art. Und doch stellt sich, wenn man sieben Filme hintereinander sieht, ein gewisser Wiederholungseffekt ein. Meistens sind es Entdeckerfahrten ins Exotische, oft wird Jules Verne adaptiert wie bei der „Reise zum Mond“ oder den „20.000 Meilen unter dem Meer“. Auch die Figurentypen und die Statisten sind immer dieselben, und der Plot variiert nur gelegentlich.

LE DIABLE AU CONVENT

(Frankreich, R.: Georges Méliès)

Das Erscheinen des Teufels in einem Konvent sorgt für Verwicklungen. Zum Schluss muss der Erzengel Michael eingreifen, um die Lage unter Kontrolle zu bringen.

Link zum Youtube-Clip des Films.


NOUVELLES LUTTES EXTRAVAGANTES

(Frankreich, R.: Georges Méliès)

Großartige Ringkampf-Parodien. Durch den Schnitt (mit Austauschen von Schauspielern durch lebensgroße Puppen) entstehen unglaublich komische Szenen.

Link zum Youtube-Clip einer Aufführung mit Live-Musik und Begleitkommentar von Marie-Hélène Léherissey (der Enkelin von Georges Méliès) in Venedig aus dem Jahre 2014.


VOYAGE À LA LUNE

(Frankreich, R.: Georges Méliès)

Der besondere Klassiker, der vor einigen Jahren auch mit einem Soundtrack der Musikformation Air aufgeführt wurde. Auf einem Kongress beschließt eine Schar von ehrwürdigen Astronauten, einen Flug zum Mond zu wagen. Ein weibliches Kadettenkorps, das Jules Verne vermutlich eher befremdet hätte, verabschiedet sie mit allen Ehren. Sie besteigen eine Rakete, die von einer überdimensionalen Kanone abgeschossen wird. Die Szene, in der die Rakete sich in das Auge des Mondgesichtes bohrt, ist ikonisch geworden. Bei der Erforschung der Oberfläche werden die Astronauten von den Mondbewohnern gefangengenommen und vor den Mondkönig geschleppt. Es stellt sich jedoch heraus, dass dieser im wahrsten Sinne leicht zur Explosion gebracht werden kann durch Kontakt mit einem Erdenregenschirm. Die Flucht vom Mond gelingt, und die Rakete kehrt zur Erde zurück, wo sie im Meer landet (eine letztlich sehr realistische Vision, bedenkt man die Rückkehr der tatsächlichen Apollo-Kapseln knapp sieben Jahrzehnte später). Stolz präsentieren die kühnen Forschungsreisenden einen zufällig gefangenen Mondbewohner.

Natürlich kann man die Darstellung der Mondbewohner als extrem rassistisch bezeichnen.

Link zum Youtube-Clip des Films

VOYAGER A TRAVERS L’IMPOSSIBLE

(Frankreich, R: Georges Méliès)

Hier wiederholen sich die Motive und Effekte aus VOYAGE À LA LUNE besonders auffällig, aber Méliès hat noch einige Steigerungen parat.

Link zum Youtube-Clip des Films

QUATRE CENTS FARCES DIABLES (The Merry Frolics of Satan)

(Frankreich, R.: Georges Méliès)

In einem Observatorium geht plötzlich nichts mehr mit rechten Dingen zu, auch auf der nachfolgenden Eisenbahnfahrt der kleinen Reisegesellschaft in andere ländliche, düstere oder tropische Gegenden kommt es zu sonderbaren Vorfällen. Das Paradies wird zur Hölle. Und wieder hat der Teufel seine Hände im Spiel. Oder ist alles doch nur ein Traum?

Link zum Youtube-Clip des Films


20.000 LIEUX SOUS LES MERS

(Frankreich, R.: Georges Méliès)

Die dritte Variation des Entdeckerfahrtenmotivs, diesmal mit eindrucksvollen Unterwasserkulissen, Ritt auf Seepferdchen, Tanz der Aqua-Nymphen und dem Kampf gegen den Riesen-Oktopus und den Riesenkrebs.

Link zum Youtube-Clip des Films


L’ECLIPSE (The Courtship of the Sun and the Moon)

(Frankreich, R.: Georges Méliès)

Die Gesichter vom Mond und der Sonne sind schon sehr lustig anzusehen, wie sie sich immer näher kommen und dann bei der Sonnenfinsternis verschmelzen.

Link zum Youtube-Clip des Films

BERLINALE SHORTS

2.

Programm IV: In der Nacht ist das Flüstern ein Tosen

DES JEUNES FILLES DISPARAISSENT

(Frankreich, R.: Clément Pinteaux)

Plötzlich ist ein Film schön, aber auf ganz andere Art und Weise als bisher: Concept Art und sublim, die Geschichte erzählt sich jenseits der Bilder und der Menschen. Wir sehen Aufnahmen von Landkarten französischer Landschaften und hören die Geschichte vom Wolf und den Mädchen: Zwischen 1652 und 1657 wurden in Essonne in Frankreich 58 Mädchen von einem Wolf verschlungen. Vier Jahrhunderte später verschwinden in dieser Region wieder junge Frauen.

Ein Mädchen in der Schule spricht von ihrer verschwundenen Freundin. Wir sehen viele Aufnahmen von Mädchen, jungen Frauen, die auf eine Weise schön sind, wie es sie nur in Frankreich gibt. Geistliche Musik ertönt. Welche geheimnisvolle Verbindung besteht zwischen dem Jetzt und den Ereignissen im 17. Jahrhundert?

AND WHAT IS THE SUMMER SAYING

(Indien, R.: Payal Kapadia)

Der Wind weht, es wird Nachmittag am Rande des indischen Dschungels. Aufnahmen des Waldes, durch den der Wind weht, so poetisch wie Tarkowskis „Serkalo“. Ähnlich wie bei Tarkowski wechseln auch Farbszenen mit Szenen in Schwarz-Weiß. Die Frauen des Dorfes flüstern sich die Geheimnisse vergangener Lieben zu. Ein karges Haus. Ein Rauch steigt aus dem Boden auf, wie der Traum einer längst vergangenen Zeit.

Und was macht der Sommer?“

MADNESS

(Portugal / Frankreich / Mosambik / Guinea-Bissau / Katar, R.: João Viana)

Lucy ist verrückt. Sie lebt in einer psychiatrischen Anstalt. Sie sucht ihren Sohn, den sie vor ihrem inneren Auge immer wieder vor sich stehen sieht. Der Ausbruch gelingt. Das Krankenbett wird zum Flugzeug transformiert – ist es ein Traum oder eine Wahnvorstellung? Das Theater von Antonin Artaud dient als Grundlage einer anderen Inszenierung von Wirklichkeit.

CITY OF TALES

(Frankreich, R.: Arash Nassiri)

Und wieder Menschen in der Nacht. Eine Geschichte in der Nacht über die Stadt der Geschichten.

Los Angeles wird Teheran. Und die Einwohner sprechen kein Englisch mehr. Sie sprechen eine persische Mundart, und selbst die Chips-Tüte im Seven Eleven fängt in der fremden Zunge zu plappern an.

Zwei Metropolen, die durch mehr Differenzen getrennt zu sein scheinen als nur die große Entfernung, sind einander letztlich doch viel ähnlicher als man denkt.

COYOTE

(Schweiz, R.: Lorenz Wunderle)

Ein Trickfilm über die Rolle, die der Tod für die Tiere spielt – aus ihrer Sicht, aus der Sicht eines Koyoten, der Hauptfigur.

Er hat alles verloren, seine Frau, seine Kinder. Er versucht der Trauer zu entkommen.

Der Koyote tritt eine mystische Reise durch die Halbwelt des Todes an. Der Tod ist ein riesiger Büffel. Trauer und Wahn kommen dichter. Der Kojote heult.

Die Ästhetik der Trickfilmtechnik in expressionistischer Farbgestaltung ist besonders ansprechend.

FORUM

3.

FOTBAL INFINIT

(Rumänien, R.: Corneliu Porumbolu)

Es dauert ein klein wenig, aber auf einmal – scheinbar ganz unmerklich – hat dieser Film seinen Weg gefunden zum Herzen des Zuschauers. Natürlich ist man erst mal verwirrt über LAURENTIU GINGHINÄ, den Mann, der – nach einer schlimmen Verletzung bei einem Fußballspiel vor dreißig Jahren – es sich zur großen Aufgabe seines Lebens gemacht hat, die Regeln des Fußballspiel neu zu definieren und komplett zu verändern.

Beharrlich verfolgt er sein Ziel eines humaneren, freieren und auch anmutigeren Fußballsports, wendet sich an allen Instanzen und lässt sich nie entmutigen – dynamisch und flexibel stellt er sich auf jedes Hindernis ein. Im permanenten Gespräch mit dem Filmemacher, der ihn ständig begleitet, offenbart sich auch schließlich der eigentliche Humor des Films. Die scheinbarer Vertracktheit der komplizierten Regeln löst sich auf in Gelassenheit und Leichtigkeit.

Besonders rührend und amüsant ist es, wie sich Laurentiu selbst sieht, als Verwaltungsangestellter mit Doppelleben wie ein Superheld, dessen eigentliche Mission die Verbesserung des Fußballsports ist.

Die Pointe des Films wird vielleicht nicht jedem auffallen, als zwei Mannschaften versuchen, das Spiel nach den neuen Regeln zu spielen. Das Spielfeld ist unterteilt in mehrere Spielerzonen mit mehreren Unterteams, die sich nur jeweils in ihren eigenen Zonen aufhalten dürfen. Man bekommt nun den Eindruck, etwas ganz anderes zu sehen als Fußball.

Ein Film nicht nur für Fußballfreunde, vielleicht für die sogar wesentlich weniger geeignet.

Weitere Vorführtermine:

Di 20.02. 14:30
Delphi Filmpalast

Do 22.02. 22:00
Zoo Palast 2

PERSPEKTIVE DEUTSCHES KINO

4.

STORKOW KALIFORNIA

(D., R.: Kolja Malik)

Die Handlung des Songs „Hotel California“ von den Eagles wird hier in diesem Kurzfilm gewissermaßen noch einmal erzählt, wenn auch auf eine ganz andere Weise. Sunny kommt aus Storkow, einer Kleinstadt in Brandenburg, mit dem Regionalzug und einmal Umsteigen wäre man eine bis drei Stunden unterwegs, um nach Berlin zu kommen.

Doch soweit wird es niemals kommen. Statt dessen ist der junge Mann hin- und hergerissen zwischen seiner Mutter Nena, die auch sein bester Kumpel ist, und einer neuen Liebe, einer attraktiven Verkehrspolizistin, die sich auch zu Sunny hingezogen fühlt. Während Nena zerbrochen ist an der Sucht nach Drogen und Alkohol und nur noch Halt findet in der Liebe zu ihrem Sohn, den sie mit allen Mitteln an sich zu binden weiß, träumt dieser vom Ausbruch und der Flucht nach Berlin.

Der zermürbende Trip zwischen Dableiben und Fortgehen wird kein Ende nehmen. Schöne Bilder eines endlosen Deliriums einer verlorenen Jugend im Schnee.

RÜCKENWIND VON VORN

(D., R.: Philipp Eichholtz)

Die junge Berliner Lehrerin Charlie hat es nicht leicht mit sich selbst, unentschlossen zwischen ihrem Wunsch, ihren Beruf auszuüben und der Sehnsucht danach, ihrer Freundin auf eine Reise ins ferne Asien zu folgen. Dazu kommt dann auch noch der Wunsch ihres Freundes nach einem Kind und einer Familie (Einblendung Filmausschnitt). Da muss sich Charlie zuerst ein wenig nach allen Seiten hin verstellen.

Dazu wird dann auch noch ihre geliebte lebenslustige Großmutter krank. So wechseln die Prioritäten für Charlie, bis keine Kompromisse mehr möglich sind. Ist Erwachsenwerden einfach und Erwachsensein schwer? Charlie hätte gern wieder etwas von der Aufregung von früher zurück, als sie bis in die Morgenstunden tanzen war. Der Karneval der Kulturen ist da nur ein Trostpflaster. Anderen fällt das offenbar leichter, dieses Erwachsensein. Statt Veränderung sieht sie bei sich nur noch Stillstand. Von irgendwo muss frischer Wind her.

Eine Komödie mit ein paar ernsten Aspekten zu Alter und Tod, jedoch ohne zu viel Drama. So kommt der Film mit einem positiven Ende doch noch zu einem abgerundeten Gesamtbild – Charlie entscheidet sich für ihren eigenen Weg.

Der Film „Rückenwind von vorn“ startet übrigens am 15. März in den Kinos.

 

PANORAMA

5.

MALAMBO, EL HOMBRE BUENO (Malambo, the Good Man)

(Argentinien, R.: Santiago Loza , D.: Gaspar Jofre, Fernando Muñoz, Pablo Lugones, Nubecita Vargas, Gabriela Pastor, Carlos Defeo)

In magischen Schwarz-Weiß-Bildern entführt uns Santiago Loza in die Welt des argentinischen Malambo-Tanzes. Man muss auch sehr dankbar sein für diese Wahl „Schwarz-Weiß“, denn in Farbe wäre die Leidenschaft des Films im Exotismus schillernder Kostüme und farbenprächtiger Folklore untergegangen.

Es genügen gelegentliche dezente Einblendungen von ROT an den entscheidenden Stellen. Der Protagonist, der junge Tänzer Gaspar, hat sein Leben der Leidenschaft des Malambo-Tanzes verschrieben, doch seine Hingabe forderte bereits erste körperliche Opfer. Dennoch verfolgt er zielstrebig sein Ziel, kämpft gegen die Rückenschmerzen, bis er seinen Wettkampf antreten kann.

Als Fiktion mit dokumentarischem Charakter zeigt uns der Film eine andere Kultur – die harte Welt der um ihren einmaligen Erfolg kämpfenden Tänzer, wie auch das Schicksal, das nach dem Erfolg kommt. Gaspar wird selber Malambo-Lehrer für einen neuen aufstrebenden Tänzer, während sein eigener Lehrmeister auf Kreuzfahrtschiffen zur Abendunterhaltung auftritt.

Wenig Farbe, viel Charakter.

Weitere Vorführtermine:

Mi 21.02. 20:15
CineStar 3

Sa 24.02. 20:15
CineStar 3

FORUM

6.

CLASSICAL PERIOD

(USA, R.: Ted Fendt)

Der amerikanische 16-mm-Streifen mutet beinahe an wie eine Verfilmung von „Zettels Traum“, nur dass die Protagonisten nicht über Edgar Allen Poe raisonnieren sondern über Dantes Göttliche Komödie. Es passiert nicht viel, nur dass die Hauptfigur Cal unermüdlich mit allen seinen Gesprächspartnern über Literatur, Poesie, Religion und Kunst spricht – ganz wie ein unbesiegbarer Bildungsprotz.

Was in der eigentlichen Handlung passiert: Die drei oder vier Hauptfiguren laufen durch die Straßen oder treffen sich in irgendwelchen Räumen. Es findet keine Kommunikation statt, man textet sich nur gegenseitig zu wie ein Quartett aus Dozenten, die sich gar nicht mehr zuhören.

Vielleicht sind die Geschichten, die sie sich erzählen über die titelgebende Klassische Epoche, die eigentliche Geschichte – wie das Echo einer vergangenen Welt, wo sich die Menschen noch tatsächlich in konstruktiven Dialogen weiterentwickelt haben. Hier jedenfalls schalten Cal und die seinigen nur um vom Modus „REDEN“ auf den Modus „ZUHÖREN“, ohne dass es sie in irgendeiner Weise noch voranbringt.

Ein zwiespältiger Beitrag im Forum, nicht zuletzt aufgrund des teilweise sehr schlechten Tons.

BERLINALE SPECIAL GALA

7.

THE BOOKSHOP

(GB, R.: Isabel Coixet)

Der Film lässt die Atmosphäre im England des Jahres 1959 entstehen. Emily Mortimer spielt eindrucksvoll die idealistische Buchhändlerin Florence Green, die ihren Traum verwirklichen will und in dem kleinen Küstenort Hardborough einen Buchladen eröffnet. Mehr und mehr muss sie dabei gegen eine spießige Gesellschaft ankämpfen, als sie in ihrem Schaufenster auch das umstrittene Werk „Lolita“ von Vladimir Nabokov ausstellt.

Zwischen den Szenen des Dramas wie Kapitelüberschriften das langsame Dahingleiten des Blickes auf die idyllischen Seen- und Meereslandschaften.

Julie Christie erscheint als Erzählstimme anfangs etwas zu präsent, doch nach einigen Minuten überlässt sie es der Geschichte, sich durch die Szenen und Figuren selber zu erzählen.

Und Bill Nighy, den man hauptsächlich aus Nebenrollen kennt, hat hier einmal endlich in einer Hauptrolle die Gelegenheit, als misanthropischer Bücherliebhaber Brundish sein ganzes Können zu zeigen.

BERLINALE SHORTS

8.

Programm I: Hohe Bäume werfen kurze Schatten

ALMA BANDIDA

(Brasilien, R.: Marco Antônio Pereira)

Fael will seiner Freundin ein Geschenk machen. Seine Krankheit, die Leidenschaft heißt, schreit laut durch die Straßen der Stadt. Das Loch in der Erde, welches unheilvoll wie ein Grab droht, wird zum Hoffnungsträger, denn dort sind die wertvollen Kristalle.

Zwischen Armut und Verzweiflung stehen immer noch die Hoffnung und der Traum.

RUSSA

(Portugal/Brasilien, R.: João Salaviza & Ricardo Alves Jr.)

Russa kehrt aus dem Gefängnis zurück in ihr Zuhause, die Banleius von Porto, um mit ihrer Schwester und Freunden den Geburtstag ihres Sohnes zu feiern. Ihr Haus ist verschlossen, viele der Gebäude von früher stehen nicht mehr. Ein Hochhaus wird gerade gesprengt.

Was hat die Freiheit überhaupt zu bieten?

AFTER/LIFE

(USA, R.: Puck Lo)

Leben und Sterben zwischen der Inszenierung von Krieg und dem Alltag der Migration in die Vereinigten Staaten von Amerika – die Wüste lebt, und wo sind ihre Toten?

BLAU

(D., R.: David Jansen)

Der Ozean. Eine unendliche Tiefe, wie auch Weite. Ein alter Volksglaube besagt, dass ein Wal sein ganzes Leben lang träumt. Eine Walkuh und ihr Kalb. In dem Animationsfilm BLAU verweben sich Leben und Mythos des großen Meeressäugers zu einer phantastischen Geschichte. Walfänger und U-Boote fehlen dabei nicht, doch im Traum erhebt sich der Wal aus dem Wasser und fliegt durch die Lüfte, um schließlich vor der großen Stadt am Meeresstrand wieder zu landen.

Dort dann sein letzter Atemzug – auch in seinem wirklichen Leben. Ein wunderschöner und sehr trauriger Trickfilm.

BURKINA BRANDENBURG KOMPLEX

(D., R.: Ulu Braun)

In einem kleinen Dorf in Afrika wohnen die Eingeborenen – doch diese sind Brandenburger mit all ihren eigenen kulturellen Sitten und Gebräuchen.

Ein obskures und satirisches Natur-Ethno-Kunst-Märchen.

Ausgehend von dem, was in den Medien der westlichen Welt über Afrika erfahrbar ist, konstituiert Ulu Braun eine andere Geschichte des großen Kontinents.

Die Götter müssen noch verrückter sein.

Nachtrag: BURKINA BRANDENBURG KOMPLEX hat den „BERLIN SHORT FILM NOMINEE FOR THE EUROPEAN FILM AWARDS“ erhalten.

FORUM

9.

GRASS

Ein klassischer Caféhausfilm in schwarz-weiß, der aber aus Korea stammt, von HONG SANGSOO. Involviert sind einige Liebespaare, aber auch Künstler, Autoren, Schauspieler, es dreht sich viel um die Liebe, den Tod und die Kunst, natürlich spielen auch Alkohol und Nikotin ihre eigene Rolle.

Beobachtet wird alles von einer jungen Frau, die hier den Stoff findet für ihren neuesten Roman. Daneben spielt noch die klassische Musik eine besondere Rolle, vor allem RICHARD WAGNER und der geheimnisvolle Caféhausbesitzer, den wir nie zu Gesicht bekommen und der eine besondere Vorliebe für den Philosophen Nietzsche zu haben scheint.

Weiterer Vorführtermin:

So 25.02. 12:00
CineStar 8

RETROSPEKTIVE

10.

DIE LEUCHTE ASIENS

Ein Monumentalfilm aus dem Jahre 1925 von Hans Osten, gedreht in Indien, produziert aber von deutscher Seite, der größtenteils in der stilvollen Farbkombination WEISS – ROT und SCHWARZ präsentiert wird, leider mit etwas zu viel Massenaufmärschen, die ständig die Handlung ziemlich aufhalten.

Gewaltige Paraden von Menschenmengen an Statisten mit Elefanten oder Kamelen laufen da durch die Straßen, dazu gibt es viel Exotik und Kitsch vor den Kulissen indischer Tempel und Schlösser. Die Geschichte von dem Erleuchteten Gautama auf seinem Weg vom Prinzen zum Erleuchteten Buddha – wie auch die Geschichte seiner Frau, die ihm auf diesem Weg folgt – gerät bei all dem spektakulären Aufwand leider ein wenig in den Hintergrund.

FORUM

11.

11 x 14

(USA, R.: James Benning)

Die bizarre Chronik einer Reise ohne Grund durch den Mittleren Westen der USA und der Aufenthalte, von denen die Reise unterbrochen wird. Dieser erste Langfilm von James Benning lief 1977 im Forum des Jungen Films und markierte einen Wendepunkt seines Schaffens. Nun ist er in einer restaurierten Fassung in der Akademie der Künste wieder aufgeführt worden – in Anwesenheit des Regisseurs.

Faszinierend, wie die gängigen Konventionen des Kinos herausgefordert werden – so frage ich mich zum Beispiel, warum haben wir eine solche Obsession mit „Plot“ und „Story“? 11 x 14 „erzählt“ nicht und hat keine Story. Was wir sehen, sind Szenen, die sich der fahrenden Bewegung widmen, seien es lange Eisenbahnfahrten scheinbar ohne Ende, die Bewegung von dem Schatten eines startenden Flugzeuge, die Liebkosung eines wunderschönen Frauenkörpers durch die Hand einer anderen Frau, während gleichzeitig die Nadel über den Plattenteller wandert und wir in voller Länge das Stück „Black Diamond Bay“ von Bob Dylan hören (die Platte habe ich sogar). Die Schönheit der amerikanischen Zivilisation in den Siebziger Jahren tritt auf ihre eigene Art und Weise in Erscheinung.

PS: Der Mann heute Nachmittag im Café der Akademie der Künste mit den langen silbergrauen Haaren unter der Wollmütze (von dem ich dachte, er sei ein Obdachlosenzeitungsverkäufer), stellte sich kurze Zeit später auf der Bühne im Kinosaal als James Benning heraus.

Hier ein kleiner Ausschnitt, der die geniale Komposition der Bildelemente inklusive Wirkung von Licht und Schatten illustriert:

11×14, airplane shot (1977) from user1946100 on Vimeo.

PANORAMA DOKUMENTE

12.

FAMILIENLEBEN

(D., R.: Rosa Hannah Ziegler)

Ein Leben auf dem Land, aber kein Idyll. Eigentlich ein Stoff für RTL2-Realsoaps über dysfunktionale Familien, doch in diesem Dokumentarfilm gewinnen alle dargestellten Menschen an der dreidimensionalen Tiefe, die ihnen gebührt.

Biggi lebt mit ihren Töchtern Denise (17) und Saskia (14) auf einem Hof, den sie mit ihrem Ex-Freund Alfred und dessen Wutausbrüchen teilt. Ein Einblick in einen familiären Mikrokosmos voller Brüche und Träume – in schrecklich heruntergekommenen Kulissen, die für die vier die Wirklichkeit ihres Lebens sind.

Das Zusammenleben wird auswegslos unerträglich – ein Neuanfang ist notwendig, doch nicht für jeden wird daraus ein Happy End, wenn begangene Fehler ihren Tribut fordern.

Eine der intensivsten und ergreifendsten Dokumentationen der diesjährigen Berlinale.